Abgeschickt von Peter Niemann am 25 April, 2012 um 18:22:38
Hallo Herr Keil,
mein "Brief an W.,den gibt es wirklich" benennt m.E. durchaus ein öffentliches Anliegen, aber vielleicht mehr für ehemalige DDR-Bewohner. Der Wolfgang steht mit seiner Meinung nicht allein. Wir wurden alle atheistisch und zum Gehorsam gegenüber dem Staat erzogen - ohne Zugang zu Informationen, aus denen sich Gegenargumente hätten ableiten lassen. Und wehe dem, der sie dennoch öffentlich äußerte. Das können Sie, im westlichen Staat aufgewachsen, vielleicht schwer nachvollziehen. HvDs Bücher waren selbstverständlich verboten, man wußte garnicht, daß es sie gab. (Ich wußte es bis 2011 nicht.) Aber auch die westberliner Rundfunksender brachten seine Vorträge nicht, überhaupt kaum philosophische Sendungen. Die habe ich mir als Funktechniker mit erheblichem selbstgebauten Antennen- und Geräteaufwand vom UKW-Sender Meißner des Hessischen Rundfunks nach Potsdam geholt, auch Serien mit C.F.v.Weizsäcker, Heisenberg, Konrad Lorenz. Die Kassetten habe ich heute noch. HvDs Fernsehsendungen waren in einem Teil der DDR gut zu empfangen, beschäftigten sich aber kaum mit weltanschaulichen Fragen. Ich räume ein, daß dieses Forum hier kein idealer Ort ist, selektiv DDR-Bewohner anzusprechen, aber es geht auch um Inhalte von zentralem Interesse. Für Hoimar von Ditfurth war parallel zu den naturwissenschaftlichen Darstellungen (Sie werfen mir einen "winzigen" Bezug dazu vor) auch Weltanschauung und Gesellschaftspolitik immer ein großes Thema, und darum geht es ja hier.
Sie konnten in Ruhe HvDs Bücher studieren - aber wissen immer noch nicht, was die Welt im Innersten zusammenhält? Nun sind Sie in der Quantenphysik angekommen. Was ist die nächste Station?
So jedenfalls geht es mir. "Da steh' ich nun, ich armer Tor . . ." Wir versuchen immer wieder, mit den aus unserer Erfahrung stammenden Worten, Begriffen und bildhaften Vorstellungen Tatbestände zu erfassen, die "jenseits" unserer Erfahrungswelt liegen, und neigen dazu, die mit der Analogie- oder Extrapolationsmethode aufgebauten GLEICHNISSE für die Sache selbst zu nehmen. Das aber ist - eine erste kurze Strecke heimtückischerweise ausgenommen - eher irreführend als erkenntnisfördernd. HvD sagt das sehr deutlich (Apfelbuch S.307). Es ist der große Irrweg der Esoterik ("Wie oben, so unten"). Nun können Sie einwenden: Aber Einstein hat doch Erkenntnisse gewonnen, die unser Vorstellungsvermögen ein Stück überschreiten. Ja, aber nur ein "relativ" kleines, und dann war auch für ihn Schluß. Und was ist überhaupt ein "Stück"? Ein Teil vom Ganzen. Wir wissen aber doch garnicht. ob es das, was wir meinen, wenn wir vom "Ganzen" sprechen, überhaupt in der gemeinten Weise gibt. Außerdem: Müssen wir als "Hobbyphilosophen" nicht immer den Fachwissenschaftlern hoffnungslos unterlegen bleiben? Es kann sich doch keiner mit all den vielen Einzelheiten befassen und sie verstehen und dabei auch noch auf dem aktuellen Wissensstand bleiben. Und muß das überhaupt sein?
Hoimar von Ditfurth hat diese unsere menschliche Situation im Apfelbäumchenkapitel "Scheuklappen unserer Welterkenntnis" gut beschrieben. Etwas pointiert gesagt: Wir sind in Bezug auf unsere Möglichkeiten, die Welt zuerkennen, in keiner wesentlich anderen Situation als ein Tier: Wir machen Erfahrungen und speichern sie, um künftig in unserem Interesse sinnvoll handeln zu können, und das war's beinahe schon. Immer wieder geraten wir in die Versuchung, unsere menschlichen Fähigkeiten zu überschätzen. Die Leute glauben an die Wissenschaft wie an eine Religion. Sebastian Haffner wußte das schon vor einem halben Jahrhundert. (Auch das erfuhr ich nur über Funk.)
Soweit mal meine Sicht der Dinge. Die Vorstellung z.B., von den beiden Begriffen "Theismus" und "Atheismus" müsse das eine richtig sein und das andere falsch, dürfte so wenig der Realität entsprechen wie die Meinungen der beiden Tierchen auf der großen Kugel. Resümee des Gärtners meiner Bekannten auf der Insel Rügen: "Alles Quatsch!" Na gut, für den Alltag darf man gern mal wieder "aus der Nummer herauskommen", so irgendwie tangential asymptotisch . . .
Ich teile übrigens die Hoffnung in Ihrem Beitrag vom 23.12.11, "daß wir so manche scharfe Gegnerschaft in Zukunft Schritt für Schritt abbauen können".
Sie wurden theistisch sozialisiert. War das gut? Ich atheistisch, wie "Wolfgang aus der DDR", wollte dann aber evangelisch werden. Wie alle Anderen. Mit Taufe (ich war 16), Religionsunterricht, Pflichtkirchenbesuch (die grüne Karte wurde immer abgestempelt), Rüstzeiten, Konfirmation. Es war beides nicht gut. Ich war gezwungen, mir eine eigene Meinung zu bilden. Das fiel (und fällt) mir nicht leicht. Aber manchmal macht es auch - Spaß! Glauben Sie nicht? Doch!
Und um jeglichem Mißverständnis vorzubeugen: Ich bin kein Atheist, und auch ich halte Richard Dawkins trotz seiner umfangreichen Sachkenntnis für einen philosophischen Scharlatan, wenn er im Gotteswahnbuch von der "Armut des Agnostizismus" spricht, den er zwischen Theismus und Atheismus ansiedelt, und nicht erkennt, daß es sich um eine diesen Glaubensrichtungen übergeordnete Anschauung handelt.
Mit freundlichem Gruß
Peter Niemann.