Abgeschickt von Heinz Boente am 17 April, 2007 um 11:06:28
Antwort auf: Re: Wege aus der Energiekrise - Anregungen von Walter Keil am 16 April, 2007 um 15:33:13:
Liebe Diskussionsteilnehmer, hallo Herr Keil,
ich weiß, daß Sie Optimist sind, und - ehrlich gesagt - das bin ich im Grunde auch, obwohl es manchmal nicht so klingt und ich oftmals gerne in die Rolle des "advocatus diaboli" schlüpfe. Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, daß es gewaltiger Anstrengungen bedarf, um "die Massen" zu mobilisieren, und Sie haben recht, Herr Keil: ohne die Medien ist sowas ganz und gar unmöglich. Anstrengungen, die Geld kosten, das niemand bereit ist zu investieren und die die Bequemlichkeit des Einzelnen herausfordern, auf die niemand verzichten möchte solange es geht.
Zwei Dinge möchte ich zu Ihrem Beitrag einwenden:
Erstens weiß heute zwar jeder zivilisierte Europäer mittlerweile, wie es um unseren Planeten Erde steht, daß der Klimawandel nicht bevorsteht, sondern wir bereits mitten drin sind, aber dennoch unternimmt der Einzelne nichts. Solange der Mensch (ich bin mir der Verallgemeinerung sehr bewußt) seinen "Jedentag" erlebt (morgens wird's hell, der Stau auf dem Weg zu seiner Arbeit ist derselbe wie gestern, sein Schreibtisch steht immer noch am selben Platz, zu Abend gegessen wird um sieben und pünktlich um 20:00h kommt die Tagesschau), was kümmern ihn da die Meldungen über schmelzende Polkappen oder Überfischung unserer Meere oder aussterbende Tier- und Pflanzenarten oder 50 durch einen Selbstmordattentäter getötete Menschen? Das ist zwar alles furchtbar traurig, aber erstens weit, weit weg, zweitens von ihm (dem Einzelnen) wohl nicht abzuwenden und drittens wird sein "Jedentag" davon ja nicht beeinflußt. Solche Nachrichten werden deshalb zur Kenntnis genommen und erzeugen bestenfalls ein besorgtes Kopfschütteln. Der Mensch bekommt die Katastrophen medial zwar frei Haus geliefert, aber keine Lösungen. Im Gegenteil, denn gleichzeitig erzählt man ihm, daß es mit der heimischen Wirtschaft endlich wieder bergauf geht, und daß es Manager gibt, die 36.000 Euro pro Tag (pro Tag!) verdienen (nein, ich sollte besser sagen: überwiesen bekommen). Was soll ich beispielsweise von der m. E. völlig schwachsinnigen weil kurzdenkerischen Aktion der ARD halten: "Kinder sind Zukunft"? Klar, das stimmt natürlich - und ganz besonders im Hinblick auf das deutsche Rentensystem, aber warum macht die ARD nicht eine Aktion "Gegen den Tod von 40.000 Kindern täglich auf unserer Erde"? Wer also lenkt die mächtigen Medien in die richtige Richtung?
Und damit bin ich bei meinem zweiten Einwand:
Wir leben zwar im Zeitalter der Globalisierung, aber wer denkt schon global? In den wohlhabenden Industrieländern kommt das vor, aber als ein Mann, der täglich seine zwölf hungrigen Mäuler füttern muß, sind mir ein paar Quadratmeter Regenwald sowas von sch...egal. Im übrigen ist es sehr profitabel, den Urwald abzuholzen, denn damit "gewinnt" man riesige Flächen, auf denen dann der Raps für den Biodiesel angebaut werden kann, weil die Automobilindustrie inzwischen aufgewacht ist und - natürlich! - etwas gegen den CO2-Ausstoß tut, ganz klar! Leider werde aber nicht ich als der arme Holzfäller mit seinen zwölf Kindern davon profitieren, sondern die Aktionäre eines multinationalen (globalen!) Mineralölkonzerns. Und wenn es mir und meiner Familie derartig dreckig geht, daß ich meine Töchter in die Prostitution schicken muß, bloß um überleben zu können, scheren mich schmelzende Gletscher nicht einen Deut (sofern ich überhaupt davon erfahre). Daß wir alle auf einem einzigen kleinen Planeten leben, den es zu erhalten gilt, damit alle menschenwürdig überleben können, kann nur denjenigen bewußt und wichtig sein, die sich um ihr nacktes Leben selbst keine direkten Sorgen machen müssen. Und im übrigen hat auch ein Slum-Bewohner in Asien oder Südamerika oder Afrika "seinen Jedentag".... Wer also sagt es denen endlich mal, daß auch sie auf dem Ast sitzen, an dem sie sägen?
Ich weiß, das ist alles sehr drastisch ausgedrückt, aber ich möchte deutlich machen, daß an einer echten Lösung der irdischen Probleme derartig viele Faktoren (u. a. auch die vielzitierte Conditio humana) beteiligt sind, daß, angesichts dessen, Sisyphos vermutlich froh über seinen kleinen Felsbrocken gewesen wäre.
Ja, Herr Keil, Sie schreiben sehr richtig, daß "die traditionelle Industrie und Ihre Lobby nicht im vollen Umfang begriffen hat, um was es geht". Ich frage mich nur, warum die das in aller Welt wohl begreifen sollten? Auch die verantwortlichen Entscheider dort haben ihren "Jedentag". Und der besteht nun mal daraus, möglichst kurzfristig möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Lassen Sie mich zur Verdeutlichung der Situation ruhig mal die Klischees strapazieren: Wenn der Topmanager eines weltumspannenden Konzerns morgens an seinem "Jedentag" mit seinem Ferrari von seinem Vier-Millionen-Dollar-Heim in sein Designer-Büro in der 40. Etage seines Bürohauses fährt... (was ich ihm von Herzen gönne, ich bin wirklich völlig neidfrei) und die Entscheidung treffen muß, ob er lieber kurzfristig den Wert der Firmenaktien um drei Punkte vermehrt (und damit vielleicht sogar Arbeitsplätze sichert) oder langfristig einen großen Teil der Unternehmensgewinne in umweltfreundliche Technologien oder Produktionsgüter investiert... tja, in der Tat, das würde eine Ethik erfordern, die er vermutlich während seines Studiums an einer schweizer Elite-Schule nicht gelernt hat. Und da er ja einer jungen, dynamischen Elite-Generation angehört, ist ihm der Name Ditfurth auch völlig unbekannt.
Wie es in diesem Diskussionsfaden schon öfter angeklungen ist, bin auch ich der optimistischen Meinung, daß es heute schon genügend Möglichkeiten gäbe, das berühmte Steuer noch in allerletzter Sekunde herumzureißen, um noch weit Schlimmeres zu verhindern. Ich freue mich auch über das kleine Fähnlein der Diskussionsteilnehmer, die dies erkannt haben und alle sicherlich das ihre tun. Dennoch fürchte ich - und das ist mein Pessimismus -, daß uns die Zeit davon läuft. Wir, die wir hier unsere Meinungen schriftlich niederlegen, die dann - theoretisch!!! - sogar jedem Internetbenutzer zugänglich sind, werden vermutlich unsere "Jedentage" bis an unser Lebensende "genießen" können, aber ob das auch für unsere Enkel und Urenkel gilt, wage ich ernsthaft zu bezweifeln. Deren "Jedentage" werden mit Sicherheit anders aussehen. Ob schlechter oder viel schlechter, lasse ich mal dahingestellt sein.
HB
Um mich nicht mit fremden Federn zu schmücken, den wunderbaren Begriff "Jedentag" in diesem Zusammenhang hat sich mein Sohn Daniel ausgedacht, mit dem ich des öfteren solche Themen diskutiere.