Abgeschickt von Egon de Neidels am 27 Mai, 2008 um 22:05:48:
Antwort auf: Re: Geist und Natur von Walter Keil am 25 Mai, 2008 um 15:39:30:
Hallo Herr Keil,
vielen Dank für Ihren kaum minder langen Beitrag zu meinen verschriftlichen Gedanken über Geist und Natur. Es ist ein dermaßen umfangreiches und in vielen Aspekten auch unerforschtes Gebiet, dass immer wieder dazu verleitet, sich in Spekulationen zu verlieren. Warum auch nicht?
Ich hätte meinen Beitrag vielleicht besser „Bewusstsein und Gehirn“ nennen sollen, ließ aber dennoch den Titel „Geist und Natur“ stehen, denn unsere Gehirne sind ja eine Frucht der Evolution und damit Natur. An eine „Übernatur“ glaube ich persönlich nicht. Für mich ist Sein und Natur – in einem erweiterten Sinn gedacht – identisch. Im Grunde sind es nur Benennungen eines Ganzen, das sich unserer Wahrnehmung in meist polaren oder dualen Beziehungen in dem Ausmaße erschließt, welches das Hirn des homo sapiens sapiens erlaubt. Wir treffen hier auf eine Erkenntnisgrenze, die wir – als Spezies inclusive technischer Hilfsmittel - sicher noch nicht erreicht haben, die aber als solche erkennbar ist. Sie ist erkennbar an jenen Zweigen des „Evolutionsbaumes“, deren Ausläufer auch heute noch existieren und unsere pflanzliche und tierische Umwelt darstellen. Ihre Erkenntnisgrenzen und damit ihre Aktionsradien sind im Vergleich zu unserer Spezies enger gesteckt - je nach Komplexität ihrer evolutiv erworbenen Erkenntnismittel. Da auch wir nur ein Ausläufer eines Astes dieses Evolutionsbaumes sind und tunlichst jeden Gedanken an einer zentralen oder exklusiven Stellung in der Natur aus Gründen der Vermeidung eines anthropozentrischen Mittelpunktswahn (eine beliebte Formulierung HvDs) vermeiden sollten, ist auch unsere Welterkenntnis letztlich beschränkt. Erkennbar ist diese Grenze aber auch an den Phänomenen, die insbesondere die moderne Physik zutage gefördert hat. Relativistische und quantenphysikalische Phänomene sind unserem Vorstellungsvermögen nicht nachvollziehbar und es wäre m.E. ignorant, nur dieses als Vorstellungsrätsel anzuerkennen ohne nicht weitere, uns nicht einmal im Ansatz bekannte Phänomene zu vermuten. Die Welt ist eben im wahrsten Sinne der Wortes unvorstellbar größer als wir je werden erkennen können. Wir stehen vor dieser Erkenntnis unserer Grenzen wie vor einem unlösbaren Tetralemma etwa der Gestalt: Es ist weder Geist ohne Materie. Es ist weder Materie ohne Geist. Es sowohl Geist als auch Materie. Es ist weder Geist noch Materie.
Daher kann m.E. die intellektuell einzig redliche Position nur die des Agnostizismus sein, also das Eingeständnis, das – um mit Kant zu sprechen – das „Ding an sich“ nicht erkannt werden kann. Dies lässt sich auch aus der Hinforschung ableiten: Alles, was wir bewusst erleben, ist nicht die Welt, sondern eine Hirnkonstruktion, welche aus dem, was unsere Sinnesorgane aufnehmen, ein uns ganzheitlich und schlüssig erscheinendes Bild darstellt. Wenn wir nun das Gehirn selber in seinen Strukturen und Funktionen untersuchen, ist das, was sich infolge dieser Untersuchung ergibt, natürlich auch ein solches Hirnkonstrukt. Da wir aber aus den o.g. angedeuteten Gründen wissen, dass unsere Erkenntnisfähigkeiten beschränkt sind, können wir daher gar nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob es wirklich nur unser untersuchbares (!) Gehirn ist, welches Bewusstsein generiert. Diese Erkenntnis ist m.E. erschütternd, da sie selbst bei der Wahrnehmung völlig trivialer Dinge den Zweifel zulässt, ob z.B. ein Stein wirklich nur ein Stein ist oder vielleicht doch noch mehr, als uns zugänglich ist. Für unsere Alltagswelt ist derlei allerdings ohne Belang, denn das, was wir z.B. über den Stein wissen, ist ausreichend, um mit Steinen z.B. Häuser zu bauen, und ob ein Frosch vielleicht ein verwunschener Prinz sein könnte, geht nur der Märchenprinzessin etwas an. Wer sich aber grundlegende Gedanken über Welterkenntnis macht, kommt an solchen Problemen nicht vorbei.
Unsere Welt ist nur deswegen „unsere“ Welt, weil wir – weil unsere Spezies - sie als miteinander übereinstimmend – also intersubjektiv – erleben. Ein intelligentes Wesen aus einer anderen Galaxis würde die Welt vmtl. anders wahrnehmen. Es würde sie anders wahrnehmen, aber vmtl. nie gänzlich anders, weil auch dieses Wesen in der einen Welt auf seine Art eingebettet ist. Zumindest partiell wären Übereinstimmungen mit uns möglich, so wie auch wir Übereinstimmungen mit dem Welterleben der Tiere haben. Denn das wir alle in einer Welt leben, die wir nur nicht in ihrer Totalität erkennen, erscheint mir als sicher - auch wenn ich das nicht letztgültig beweisen oder belegen kann. Ich kann es nicht beweisen, denn ein radikaler Konstruktivist z.B. könnte hier schon Zweifel säen. Er behauptet ja, es gäbe überhaupt keine objektive Welt weil ALLES durch „sein“ Bewusstsein konstruiert ist. Alles – d.h. auch alle Daten, aus denen wir Schlussfolgerungen ziehen, mithin die ganze Evolution. Wie er fossilführende Schichten, die auf eine Welt verweisen, in der es noch keine Menschen gab und damit auch keine radikalen Konstruktivisten, in sein Weltbild einbauen will, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis. Der radikale Konstruktivist entdeckt nichts, er erfindet alles; für ihn ist die Landkarte das Land. Vielleicht bin ich zu dumm, aber mir erscheint diese philosophische Position – ungeachtet solcher Koryphäen wie Heinz von Förster – irgendwie „närrisch“( damit will ich keineswegs spotten – etwa in der Art, dass ich einen solchen Konstruktivisten auffordern würde, durch die Wand zu gehen; das Misslingen eines solchen Unterfangens würde er salopp damit begründen, dass sowohl die Wand als auch sein Körper miteinander verwobene Konstrukte seien, die in einer bestimmten Beziehung zueinander stehend, ein solches Vorhaben unmöglich machen würden – schließlich ist der radikale Konstruktivist ja nicht allmächtig und habe auch nicht ausgesagt, dermaßen viel Macht über seine Konstrukte zu besitzen). Nunja, der gute alte Schopenhauer sah in der Welt ja auch nur „Wille und Vorstellung“. Fragt sich nur, wessen Wille und Vorstellung. Nach Bischof Berkeley – ein Klassiker unter den Konstruktivisten - ist es Gottes Willen und Vorstellung. Berkeley war daher nicht – wie oft behauptet – ein subjektiver Idealist sondern ein objektiver – mit Gott als Ideal. Und bei Hegel hätten wir dann den Weltgeist, der sich dialektisch in den Prozessen der Welt ausdrückt. Dieses ganze, seit Jahrtausenden nun schon andauernde Nachdenken unserer Spezies über Erkenntnis zeigt indes zweierlei: Einerseits bestätigt es die Nichterkennbarkeit von Welt als Absolutum – man ist nie zu einer befriediegenden Lösung gekommen - und damit die agnostische Position, und andererseits offenbart es eine Neugierde unserer Spezies, die weit über eine bloße Überlebenssicherung von Art und Individuum hinauszureichen scheint. Wenngleich man auch nie zu einer tragfähigen Lösung gekommen war, so hat es unsere Spezies doch nie daran gehindert, Scheinlösungen en gros zu fabrizieren. Eine solche Scheinlösung erkennt man m.E. immer an ihrer Geschlossenheit. Es handelt sich dabei i.d.R. um Weltanschauungen, die, - der Ergebnisoffenheit spottend - einen Anfang, einen mehr oder weniger erkennbaren Verlauf und ein Ende der Welt implizieren. Wer nun denkt, es geht hier nur um gewisse Religionen, irrt. Es geht auch um den Versuch unserer Spezies, eine große vereinheitlichende Theorie der Physik zu finden oder um die Modelle, die wir uns über das Universum machen. Denn hinter alledem lauert vmtl. das Bestreben, zu einer vielleicht doch noch erklärbaren Welt zu gelangen. Auch meinen Formulierungen wie „Welt als Absolutum“ ist diese kaum bewusste Sehnsucht anzusehen, denn wie kann ich denn wissen, ob die Welt ein Absolutum ist? Wir kommen offensichtlich ohne solche auf ein Bedürfnis nach Orientierung hinweisende Weltbilder oder Spekulationen nicht aus. Nichts scheinen wir mehr zu fürchten als die mehr oder weniger völlige Orientierungslosigkeit. Man weiß um die Panik, die das „Aufreißen“ des geozentrischen Weltbildes durch Galilei verursachte und über Darwins Entdeckung regen sich bis heute nicht wenige auf. Nur hat dann alsbald auf anderen Wegen die Sehnsucht nach einem schlüssigen Weltbild sich wieder Bahn gebrochen. Marx und Engels meinten, einen Weg zu einem Paradies im Diesseits gefunden zu haben – ihre Sicht der Dinge war ebenso „rund“ wie das mancher Religionen: Vom Urkommunismus primitiver Menschen über die Sklavenhalterepoche, dem Feudalismus und dem Bürgertum zum Sozialismus als Übergangsstadium zum Kommunismus – Ende der Fahnenstange. Bislang eher misslungen als gelungen – aber etwas Zeit haben wir ja noch : -).
Man soll sich eben kein Bild von Gott machen – heißt es in der Bibel. Also – so könnte man spekulieren – ist das, wovon ein Bild unmöglich ist, Gott. Folglich ist die Gesamtwelt - also alles – Gott. Und schon wieder haben wir eine mögliche „Zufluchtnahme“.
Vielleicht sieht eine mögliche Lösung ganz anders aus. Vielleicht besteht sie in einer mentalen Kehrtwende heraus aus allen Weltkonzepten und hinein in das Hier und Jetzt. Eine Absage an alle Angebote von Allerklärungen und Zukunftsversprechungen. Ich bin davon überzeugt, dass die wirkliche Großen in der Geschichte der Menschheit nur das gelehrt haben und das selbst apokalyptische Visionen keinen anderen Sinn enthalten, als alle Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Denn Schreckensbilder sind eine Methode, um Erschütterungen auszulösen, die Konzepte brechen, den Fluss der Gedankenkonstrukte anhalten und das Ich als Angstpopanz erscheinen lassen. Die gewöhnliche Orientierung bricht zusammen und mit diesem Zusammenbruch verliert das Empfinden von Selbst jeglichen Halt. Das führt dann entweder zur mystischen Entgrenzung einer echten Selbst-Losigkeit mit möglichen selbstlosen Verhalten anderen gegenüber als Folge oder zum fanatischen Wahn. Beides ist aus der Geschichte hinlänglich bekannt.
Soweit meine Reflektionen und Spekulationen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Egon de Neidels