Re: Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel


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Abgeschickt von Klemens Taplan am 24 Oktober, 2009 um 17:51:39:

Antwort auf: Re: Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel von Helmut Pfeifer am 24 Oktober, 2009 um 11:04:35:

Hallo Herr Pfeifer,

vielen Dank für Ihre dezidierte Stellungnahme zu meiner Besprechung zum Buch „Der Ego-Tunnel“ bzw. zu Metzingers Thesen.

Den Begriff „Ego-Tunnel“ hat Metzinger bewusst so gewählt. Es handelt sich dabei um eine Metapher, in der zum Ausdruck kommen soll, dass der Inhalt unseres bewussten Erlebens nicht nur ein inneres Konstrukt, sondern auch eine selektive Form der Darstellung von Informationen ist.

Metzinger beschreibt ein Experiment, durch welches deutlich wird, dass eine Gummihand als eigene Hand erlebt werden kann. Auf dieses Experiment stützt er sich, wenn er den Begriff „phänomenales Selbstmodell“ einführt. Es handelt sich um ein bewusstes Modell des eigenen Organismus. Dieses muss, wie in dem Experiment deutlich wurde, nicht mit dem eigenen Körper identisch sein. Der Versuch diente nur dazu, deutlich zu machen, dass es so etwas gibt. Auch Tiere besitzen ein mehr oder weniger ausgeprägtes phänomenales Selbstmodell, ihnen fehlt jedoch die Fähigkeit, sich selbst als denkende Wesen zu erkennen. Interessant finde ich, dass Metzinger hier einen Ansatz gefunden hat, der empirisch gestützt ist. Im Gehirn wird das Selbstmodell mit dem Weltmodell in Beziehung gesetzt und so ein Ego konstituiert.

In dem Buch werden u.a. Experimente beschrieben, wie außerkörperliche Erfahrungen künstlich hervorgerufen werden können. Darauf bin ich in meiner kurzen Besprechung nicht eingegangen, obwohl ich das Thema für bedeutend halte.

Niemand erfindet das Rad neu und so ist die Geschichte der Menschheit auch die Geschichte großer Persönlichkeiten, die sich zu den Themen „Geist“, Bewusstsein“ oder „Realität“ ihre Gedanken gemacht haben. Zu jeder These findet man in der Geschichte der Wissenschaften oder in der Mystik Vertreter, die das, was man aktuell liest, in ähnlicher Form schon einmal zum Ausdruck gebracht haben. Der jeweilige Erkenntniszuwachs erfolgt m.E. evolutiv und ist meist gering (aber nicht unbedeutend).

Natürlich hat HvD wichtige Grundlagen zur Erkenntnistheorie geschaffen. Aber auch sein Werk ist nicht denkbar ohne Konrad Lorenz (siehe „Die Rückseite des Spiegels“) und auch sein Werk wird weiterentwickelt. Metzinger bringt, auf Basis des heutigen Kenntnisstandes, die empirische Forschung stärker in die Philosophie hinein. Er ebnet den Weg, um das Subjektive der empirischen Forschung zugänglich zu machen. Damit fügt er einen weiteren Mosaikstein in ein endlos großes Puzzle ein, welches das Bild unserer Wirklichkeit darstellt. Metzinger schlägt eine Brücke zwischen Naturwissenschaft und Philosophie und das finde ich positiv.

Metzinger hat seinen eigenen Stil. Wenn meine Besprechung phasenweise an HvD erinnert, so kann das auch daran liegen, dass meine eigene Wahrnehmung selektiv funktioniert und mein Fokus intuitiv auf den typischen HvD-Themen liegt bzw. auf den Themen, die mir bei HvD wichtig waren.

Natürlich geht bereits aus Platons Höhlengleichnis hervor, dass die Realität nicht greifbar ist. Ist damit das Thema abgehakt? Nein, es wird immer wieder neu aufgegriffen, aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und weiterentwickelt.

Sie stellen heraus, dass HvD erkannt hat, dass unsere Sinnesorgane die Welt nicht für uns abbilden, sondern für uns auslegen. Der Unterschied ist, wie Sie schreiben, phänomenal. Das sehe ich genauso. Damit wird eine Brücke gebaut zwischen der Evolutionären Erkenntnistheorie und dem Konstruktivismus. Diese Erkenntnis dürfte auch für Herrn Keil interessant sein. Ich füge hinzu: Eine Konstruktion ist leichter zu begründen, als ein Abbild. Ein Abbild würde das eigentliche Problem nur verschieben. „Wer“ interpretiert das Abbild auf „welche“ Weise?

Der Solipsismus (nur das eigene Ich existiert) und die damit verbundene Leugnung der Außenwelt kam bereits im 19. Jahrhundert auf. Zahlreiche Autoren haben sich zu diesem Thema geäußert, auch HvD. Daraus würde ich nicht den Vorwurf ableiten wollen, Metzinger schreibe ab. Ein großer Teil jeden Buches besteht aus der Aufbereitung des bestehenden Gedankengutes und nur ein kleiner Teil darin, neue Gedanken zu entwickeln. Jedes Buch über Physik, Philosophie, Biologie usw. hat in diesem Sinne inhaltliche Ähnlichkeiten.

Ein paar Gedanken zum Widerspruch (…) zwischen „Unser bewusstes Leben bewegt sich im Ego- Tunnel.“ Und „Dass das deutliche und stabile Erleben nicht (!) in einem Tunnel sei, sondern tatsächlich und unmittelbar in Verbindung mit der äußeren Welt stehe, sei eines der bemerkenswertesten Charakteristika des menschlichen Bewusstseins!!„:

Der Widerspruch existiert nur scheinbar, denn beides ist richtig. Unser bewusstes Leben bewegt sich im Ego- Tunnel, jedoch bemerken wir das nicht. Wir sehen kein Fenster in die Wirklichkeit, sondern wir erleben uns innerhalb dieser Wirklichkeit. Diese Eigenschaft bezeichnet Metzinger als „transparent“. Wir sind uns des Mediums der Repräsentation nicht bewusst, sondern leben in dieser Repräsentation.

Meine Erläuterungen können die Zusammenhänge natürlich nur anreißen. Immerhin umfasst das Buch ca. 380 Seiten. Auch wenn wir über HvD diskutieren, können wir nur Facetten seines Werkes behandeln. Ich sehe in Metzingers Buch eine Weiterentwicklung von Themen, die auch HvD wichtig waren. Es möge sich jeder ein eigenes Bild machen.

Ich bin schon gespannt auf Ihre angekündigten Beiträge zu HvD.

Mit freundlichen Grüßen
K.T.




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