Re: Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel


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Abgeschickt von Egon de Neidels am 10 November, 2009 um 15:46:14:

Antwort auf: Re: Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel von Klemens Taplan am 09 November, 2009 um 22:15:13:

Hallo Herr Taplan,

m.E. ist letztlich all unser Wissen subjektiv – oder besser gesagt: intersubjektiv.

Ich habe mich – nicht zuletzt wegen der tragischen Erkrankung meines Angehörigen an Morbus Alzheimer – mit Psychiatrie und Neurobiologie immer intensiver beschäftigt, ohne jedoch auch nur in die unmittelbare Nähe vom Fachwissen eines habilitierten Profis (zu denen auch HvD zu zählen ist) zu kommen. Dabei hat mich v.a. die enorme Leistung unserer Gehirne, komplexe Geschehen zu halluzinieren, sehr beeindruckt. Im Grunde kennen wir das alle ja aus unseren Träumen, die mitunter eine „Realitätsnähe“ haben können, welche uns das Traumgeschehen als absolut wirklich erleben lässt. Und wer einmal mit bestimmten Drogen experimentiert hat – wozu ich hier nicht nur aus juristischen Gründen abraten möchte - weiß um die kreative Eigenmacht unserer Gehirne, die uns bizarre Welten voller Farben und Symmetrie, aber auch voller abgrundtiefer Schrecken zu präsentieren in der Lage ist.

Wie all das zustande kommt, ist immer noch nicht völlig geklärt. Ein Teil des Rätsels Lösung mag in der Tatsache begründet sein, dass unser Gehirn – v.a. die Großhirnrinde (Isocortex) – um den Faktor 100.000 herum mehr Eigenaktivität aufweist als allein durch sensorischen Input und motorischen Output notwendig wäre. Unser Gehirn spricht sozusagen permanent mit sich selber in massiver Parallelverarbeitung assoziativer Neuronenfeldern. Davon bekommen wir i.d.R. nicht viel mit, außer im Traum oder drogeninduziert bei vmtl. „heruntergefahrenen Filterfunktionen“. Evolutionsbiologisch gesehen ist das auch sinnvoll, denn unsere (über)lebensnotwendige Aufmerksamkeitssteuerung würde darunter enorm leiden, was unsere Vorfahren noch vor der Geschlechtsreife in die Mägen von Säbelzahntigern oder ähnlichem und uns damit auf die Verliererseite der Evolution befördert hätte. Gleichwohl liegt in diesem unbewussten und z.T. wilden Assoziieren ein großer Nutzen für die Ideenbildung und all unsere Kreativität. Denn dieses Geschehen assistiert unser Denken und bringt nicht zuletzt Kultur und Kunst hervor. Die Herkunft der Kunst aus dem Reich der Assoziationen im Isocortex kann man übrigens m.E. sehr schön an den Bildern des Hieronymus Bosch ersehen. Dieser fast schon dem phantastischen Realismus oder Surrealismus zurechenbare spätmittelalterliche Maler zeigt uns bizarre Fabelwesen, zusammengesetzt aus Tieren und Gegenständen. Da werden Nasen zu Löffeln weil assoziativ das Essen mit Geruch verbunden ist; da befindet sich ein Messer zwischen zwei Ohren, was auf eine scharfe Nase hindeutet, usw. Bosch war übrigens weder psychotisch noch ein Drogenkonsument, sondern ein braver und gläubiger Bürger seiner Zeit, der u.a. pünktlich seine Steuern bezahlte, wie Nachforschungen erwiesen. Er hatte nur eine große künstlerische Phantasie, die u.a. von den Glaubensvorstellungen seiner Zeit beeinflusst war.

Nach dem radikalen Konstruktivisten und Kybernetiker Heinz von Foerster entdecken wir nichts sondern erfinden alles. Für ihn ist sozusagen die Landkarte das Land. Das würde bedeuten, auch die Welt an sich wäre nichts anderes als ein reines und ausschließliches Hirnkonstrukt. Schlimmer noch, denn auch unser Hirn wäre dann ja selber ein solches Konstrukt. Gerhard Roth, sich dieses Problems bewusst, postuliert dagegen ein „wahres Gehirn“, das uns nicht zugänglich ist, denn das Problem besteht ja in der Frage, wer oder was denn konstruiert. Bischof Berkeley hatte es da einfacher. Für ihn war Gott der eigentliche Konstrukteur und nur durch seine Beobachtung erschafft er die Dinge (Berkeley war damit nicht, wie oft fälschlich behauptet, ein subjektiver Idealist, sondern ein objektiver, der Gott als absolutes Objekt voraussetzte). Immerhin nehmen solche Ansichten z.T. die sog. Kopenhagener Interpretation der Quantenphysik vorweg und verweisen darauf, dass erst der Blick in den Katzenkasten von Schrödinger über das Leben oder den Tod besagter berühmter Katze entscheidet (Dekohärenzproblematik).

Der allseits beliebte und leider zu früh verstorbene Franzisco Varela, dem die Fachwelt u.a. die Entdeckung synchroner EEG-Muster bei der Mustererkennung verdankt, hat in der Tat mit Umberto Maturana einen interessanten und durchaus genialen Ansatz zur Lösung der Zirkularität geliefert: Autopoiesis. Danach – wenn ich das richtig erinnere – ist dieser zirkuläre Prozess, der uns so viel Kopfzerbrechen bereitet, selber eine Art Schöpfungsakt (Selbstorganisation im Sinne der Koinzidenz von Sein und Tun). Vielleicht sind wir – was auch schon HvD kritisierte – zu sehr Sklaven eines nur noch kausalen Analysierens und verwerfen zu schnell, was nicht in das Weltbild der Kausalität und der Energieerhaltung passt. Immer wieder finden wir uns im anthropozentrischen Mittelpunktswahn vor, immer wieder hängen wir an der absurden Forderung, die Welt habe gefälligst so zu funktionieren, wie wir sie zu begreifen scheinen. Und immer wieder werden wir früher oder spätere eines Besseren belehrt.

Ich glaube nicht, dass die Welt eine immanente Ursache hat und kann auch nicht beweisen, sie hätte eine transzendente Ursache, denn Immanenz und Transzendenz sind Erklärungsmuster eines Gehirns, das gar nicht über die evolutionsbiologisch nun mal vorhandenen Grenzen hinaus reichen kann. Ignorabimus – was bleibt ist Agnostizismus, m.E. die (technisch, aber nicht religiös) aufrichtigste Haltung, zu der man fähig sein kann und die dennoch alles offen hält.

Wir kommen nicht über unsere artspezifische Intersubjektivität hinaus – der archimedische Punkt bleibt uns versagt. Immerhin können wir anhand der Praktikabilität in unserem Weltbild Entscheidungen fällen, aber diese sind dann entweder passend oder unpassend – über Wahrheit an sich wissen wir nichts. Da beginnt dann m.E. der Glaube, der nicht notwendig an bestimmte Religionen, Institutionen oder Dogmen geknüpft sein muss.

Mit freundlichen Grüßen
Egon de Neidels




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