Abgeschickt von Heinz Boente am 03 Maerz, 2008 um 19:38:59
Antwort auf: Re: Wieviel Utopie ... Evolution des Religiösen von Walter Keil am 02 Maerz, 2008 um 12:51:43:
Hallo Herr Keil,
ich weiß nicht, ob Herr Heim zu Ihrem Beitrag Stellung nehmen wird, aber ich möchte auch ein paar Anmerkungen dazu loswerden, allerdings ohne auf jede Einzelheit eingehen zu wollen.
Zunächst einmal zum Titel Ihrer "Habilitationsarbeit". Ich denke, so wie Sie das Thema gestellt haben (Wie evolutionär sind Religionen?) wird das eine sehr kurze werden. Der Inhalt der Arbeit bestünde nämlich nur aus den beiden Wörtchen 'gar' und 'nicht'. Religionen selber sind eben gerade nicht evolutionär, und das ist ja auch genau das, was Atheisten (und auch viele kritische Gläubige - ich nenne hier stellvertretende nur einen einzigen Namen: Hans Küng) ihnen vorwerfen. Nichts ist so starr, so unflexibel, so dogmatisch wie eine Religion. Da wird kein Jota von den Glaubensgrundsätzen abgewichen. Da erklärt man sich - trotz revolutionärer wissenschaftlicher Erkenntnisse ringsherum - wenn's gar nicht mehr anders geht allenfalls zu einer "gewissen Notwendigkeit zur Interpretation" bereit. Nennen Sie mir nur ein einziges Beispiel für eine vernünftige Anpassung von Religionen an die heutigen Gegebenheiten! Eine Habilitationsarbeit, wie Sie sie meinen, sollte daher den Titel "Wie hat die Evolution den Glauben hervorgebracht?" lauten (aber ich denke, das haben Sie gemeint).
Zweitens, wie erklären Sie die Verschiedenheit der zahlreichen existierenden Glaubensgemeinschaften? Verschiedenheiten, die jahrtausendelang und bis heute zum Kampf bis aufs Blut geführt haben und weiterhin führen werden. Gut, man könnte kulturhistorische oder sogar umweltbedingte Faktoren anführen, unter denen sich gewisse Riten und Denkweisen unterschiedlich entwickelt haben, das widerspricht nicht einem dem Menschen offensichtlich innewohnenen Drang an eine höhere Autorität oder an eine Art gesetzgebende Instanz jenseits des Sichtbaren glauben zu wollen, da gebe ich Ihnen recht. Doch ich meine, wenn Religion tatsächlich eine evolutionäre Notwendigkeit wäre, dann müßte doch eigentlich eine grundsätzliche Einigkeit herrschen. Wenigstens bei den "Basisfragen". Sie selber haben jedoch auf die Unterschiede zwischen der fernöstlichen und der - ich nennen es mal vereinfachend - westlichen Auffassung hingewiesen. Ein Auge ist ein Auge, beim Chinesen und beim Indianer. Ein Gehirn ist ein Gehirn, beim Inuit und beim Pygmäen. Einschließlich ihrer Funktionsweisen. Beides ist evolutionär entstanden. Warum, wenn es denn evolutionär sein sollte, das beim Glauben anders sein?
Drittens, Sie schreiben angesichts von unvorstellbaren Gewaltexzessen "Solche Aussagen tun Atheisten möglicherweise weh, da sie die besondere Böswilligkeit des Religiösen nicht explizit anerkennen". Nein, sie tun Atheisten nicht weh. Kein vernünftig denkender Atheist unterstellt einer Religion a priori Brutalität. Aber das, was die jeweiligen Führer und verantwortlichen mit und aus dem menschlichen Drang zum Glauben machen, sieht ein Atheist als verwerflich an und stellt deshalb die m. E. sehr berechtigte Frage, ob man ganz ohne Religion, bzw. Religionsgemeinschaften nicht grundsätzlich besser dran wäre. Gegen einen im stillen Kämmerlein ausgeübten Glauben an einen Schöpfergott, der die Naturkonstanten exakt auf die richtigen Werte eingestellt hat, an die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode usw. ist ja gar nichts zu sagen.
Viertens schreiben Sie "Die größte atheistische Philosophie, der Kommunismus, hatte in Stalin, Mao Tse Tung und Pol Pot hier seine Schreckensfiguren". Das stimmt zum Teil, ich füge sogar Hitler und den Nationalsozialismus noch hinzu. Aber - soweit ich mich erinnere, haben wir das hier im Forum schon mehrfach diskutiert - der Gedanke des Kommunismus ist nicht per se schlecht oder böse, im Gegenteil, er ähnelt in manchen Teilen sogar den Idealen des Christentums. Böse wird eine Ideologie erst in den Händen von Verführern, die aus philosophischen Gedanken konkrete Lebens- und Verhaltensvorschriften für Individuen machen und diese dann unter Androhung von Strafe (das, was das Christentum im harmlosesten Fall 'Sünde' nennt) durchsetzt.
Die "Annäherungen", Her Keil, die sie erwähnen (Sie haben Willigis Jäger genannt, dem stimme ich zu, genauso wie ich Küng, Hasenhüttel, Ranke-Heinemann u. a. dazu zähle), haben im Klerus nicht, aber auch rein gar nichts bewirkt. Ich darf Sie noch einmal zitieren: "So wurde im Christentum immer wieder im Verlaufe der Jahrhunderte am Gedankengebäude
verändert, hinzugefügt und abgeschafft. Es kam zu Abspaltungen, mal dauerhaft mal kurzzeitig." Dazu meine konkrete Frage: welche denn? Von Trivialitäten einmal abgesehen. Noch ein Zitat: "Es kam das Zölibat und es wird möglicherweise bald abgeschafft." Ihr Wort, Herr Keil, in Gottes... nein, Benedikts Ohr!
Und um auch noch einmal kurz den Islam anzusprechen. Gerade vor ein paar Tagen wurde in den USA eine Gallup-Umfrage veröffentlicht. Dieser Umfrage zufolge gibt es auf der Welt etwa 1 Milliarde Muslime, und von denen sind 93% als durchaus friedfertig zu bezeichnen, also Menschen, die sich ohne Gewaltbereitschaft auch in westliche Kulturen eingefügt haben bzw. ihrer eigenen Aussage gemäß einfügen könnten. Das klingt scheinbar beruhigend. Ist es aber nicht, denn umgekehrt bedeutet dies, daß auf unserer Erde 7% oder - in absoluter Zahl ausgedrückt - 70 Millionen (!!!) Muslime leben, die zur Durchsetzung ihrer Glaubensideen durchaus Gewalt anwenden würden! Wenn nun jemand sagt (um bei diesem einen Beispiel zu bleiben) Religion - ich füge sogar einschränkend hinzu - als Kollektivphänomen stelle keine konkrete Gefahr dar, dann verkennt er schlicht die Tatsachen! Vom Papst und seinem für das Überleben der gesamten Menschheit gefährlichen Verbot der Geburtenkontrolle will ich hier lieber gar nicht reden.
Die Tatsache, daß sich viele, vielleicht sogar die meisten, Religionsgemeinschaften mittlerweile als "gemäßigt" präsentieren, kann bei näherem Hinsehen nicht verbergen, daß immer noch unterschwellig große Gefahren lauern. Das liegt im Wesen jeder Ideologie, die sich selber als absolut und unumstößlich betrachtet. Man braucht nur mal das Alte Testament an einer beliebigen Stelle aufzuschlagen.
Ein denkender Atheist (Humanist) wird niemandem seinen persönlichen Gottesglauben abspenstig machen wollen, er wehrt sich aber entschieden gegen eine völlig unnötige Einschränkung der individuellen Freiheit (was darf ich essen, was muß ich anziehen, wie habe ich mich in betsimmten Situationen zu verhalten?), was sogar seine eigene (die des Atheisten) mit einschließt, sonst riskiert er, daß man ihm den Kopf abreißt. Und mehr noch wehrt er sich gegen einen Glauben, der glaubt, er sei der allein seligmachende. Was gläubige Menschen jedoch in diesem Zusammenhang meistens gründlich mißverstehen, ist erstens die Tatsache, daß die Alternative zu einem Gott eben gerade nicht bedeutet, daß das Leben zwangsläufig sinnentleert, unglücklich und hoffnungslos sein muß. Und ein zweites großes Mißverständnis besteht darin, daß ein Atheist gar nicht primär das Böse im Glauben an ein höheres Wesen sieht oder daß er er jemandem den Glauben an die ewige Seligkeit nehmen will, sondern schlicht abwägt (zugegeben, beim derzeitigen Entwicklungsstand des menschlichen Gehirns eine reine Gedankenspielerei), was für die Menschheit langfristig wohl besser ist: Religion oder Nicht-Religion. Ich kenne keinen solcherart denkenden Atheisten, der jemals diese seine Überzeugung beispielsweise einem Christen mit brutaler Gewalt einbleuen wollte.
Schon der französische Philosoph Blaise Pascal hat im 17. Jahrhundert, zu Beginn des Zeitalters, das man heute Aufklärung nennt, den Menschen die folgende Wette angeboten: "Gott ist - oder er ist nicht. Die Vernunft kann hier nichts bestimmen. Worauf wollen Sie setzen?" So simpel ist die Frage, auf die der Gläubige mit 'Ist' und der Atheist mit 'Ist nicht' antwortet. Und Hans Küng sagt in seinem Buch "Der Anfang aller Dinge" (S. 75): "Man verliert in jedem Falle nichts, wenn man an Gott glaubt, kann aber alles gewinnen". Das ist zwar keine neue Erkenntnis, aber unwiderlegbar. Die Betonung liegt in diesem Fall jedoch auf dem 'kann'. Vielleicht sollte ich zum Schluß noch hinzufügen, daß dies von einem denkenden Menschen geschrieben worden ist, dem der Papst wegen einiger kritischer Äußerungen verschiedenen Dogmen gegenüber - zugegeben - zwar nicht hat öffentlich verbrennen lassen, aber immerhin die katholische Lehrerlaubnis entzogen hat.
HB