Re: Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel


[ Antworten ] [ Ihre Antwort ] [ Forum www.hbglweb.de ]

Abgeschickt von Henry Grimmer am 15 Oktober, 2009 um 15:42:43

Antwort auf: Re: Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel von Klemens Taplan am 14 Oktober, 2009 um 20:37:27:

: Hallo Herr Grimmer,

: ja, dass mit der Willensfreiheit ist so eine Sache. Man muss sich mittlerweile nicht nur fragen, „ob“ der Wille frei ist, sondern auch, „wer“ denn Inhaber des Willens ist. In der Literatur findet man unterschiedliche Interpretationen zu den damaligen Experimenten von Libet. Als sicher kann m.E. gelten, dass der Wille nicht so frei ist, wie er uns vorkommt. Metzinger behandelt das Thema in „Der Ego-Tunnel“ nur am Rande. Aber er hält Determinismus und freien Willen für miteinander vereinbar. Eine ähnliche Position vertritt der Philosoph Michael Pauen, der seine Auffassung in „Was ist der Mensch?“ ausführlich begründet. Pauen stützt sich auf das Autonomieprinzip und das Prinzip der Urheberschaft, denen man gerecht wird, wenn man unter Freiheit Selbstbestimmung versteht. Nach seiner Auffassung existieren auch (oder gerade) in einer determinierten Welt Handlungsalternativen. So wie es in der Naturwissenschaft „Ursachen“ gibt, orientiert sich menschliches Verhalten an „Gründen“. Damit beschreibt er einen Kategoriewechsel, der zu Ergebnissen führt, die dem menschlichen Erleben im Alltag gerecht werden. Freiheit im psychischen Sinne ist nicht gleichzusetzen mit Freiheit im physikalischen Sinne. Eine Gegenposition zum Thema von dem Psychologieprofessor Wolfgang Prinz in einem Interview aus dem Jahre 2004: "Für mich ist unverständlich, dass jemand, der empirische Wissenschaft betreibt, glauben kann, dass freies, also nicht determiniertes Handeln denkbar ist."

: Sind die Probleme „Geist“ oder „Ich“ reduktionistisch lösbar? Sicherlich nicht in dem Sinne, dass man kleinste Teilchen definiert, denen man psychische Qualitäten zuschreibt. Dann wären wir wieder bei den Monaden. Gerhard Roth definiert einen „nicht-reduktionistischen Physikalismus“ (siehe „Das Gehirn und seine Wirklichkeit“). Auch das bestehende Theoriegebäude der Physik ist nicht-reduktionistisch. Sowohl Roth als auch Metzinger gehen davon aus, dass man zu Bewusstseinsinhalten neuronale Korrelate finden wird und man eines Tages in der Lage sein wird, für spezifische Arten des Erlebens, die konkret erforderlichen Muster im Gehirn angeben zu können. In diesem Sinne dürfte das „Ich“ auch nur ein Muster sein. Wenn man diesen Stand erreicht hat, weiss man aber immer noch nicht „was“ Geist ist. Das Qualia-Problem, das „Erleben“ bleibt ungelöst. Aber auch die Physik weiss im ontologischen Sinne nicht was Masse oder Licht ist, sie kann trotzdem mit diesen Begriffen umgehen und sie in Beziehung zueinander setzen.

: Ich stimme Ihnen zu, dass die Summe der Teile weniger als das Ganze ist. Emergenz kann man nicht aus Teilen ableiten. Neue Eigenschaften entstehen einfach bei einer bestimmten Komplexität. Zu Ihrem Satz „Die Große vereinheitlichte Theorie wird uns hoffentlich zeigen, dass die Raum-Zeit die grundlegende Substanz ist, dass sich das Sein in uns quasi denkt.“ ein paar Anmerkungen: Ich glaube nicht so recht daran, dass man wirklich eine physikalische Theorie finden wird, die alles erklärt. Sollen biologische Vorgänge physikalisch erklärt werden können? Selbst wenn man eine Theorie hätte, ist das „Erleben“ noch ungelöst. Die Verbindung von „Große vereinheitlichte Theorie“ zu „das Sein“ halte ich für erklärungsbedürftig. Der Halbsatz „dass sich das Sein in uns quasi denkt“ gefällt mir. Die Frage „wer“ denkt ist nach Metzinger ja noch unbeantwortet.

: Mit freundlichen Grüßen
: K.T.

Hallo, Herr Taplan!

Tut mir leid, wenn ich mich nicht genau genug ausdrücke, mein Gedankengang bzgl. des „Seins an sich“ ist noch in der Entwicklung, und es ist vielleicht unhöflich, den Gesprächspartner mit Halbgarem zu traktieren. Zur GVT sei nur bemerkt, dass ich nicht daran gedacht habe, sie würde uns die Lösung aller Probleme bringen, es wäre auch völlig unsinnig, von so einer Theorie zu verlangen, sie solle mir die bio-chemischen Prozesse beim Entstehen einer Rose erklären. Ich denke, sie kann uns das „Wie“ für die physikalischen Grundlagen unserer Welt liefern, aber niemals das „Warum“. Davon ab denke ich aber schon, dass biologische Vorgänge physikalisch erklärt werden können, und wenn sie es können auch sollen.

Was ich mit der Vereinheitlichung meinte ist Folgendes: Es geht um Zurückführung der vier Grundkräfte (Elektromagnetismus, Schwache und Starke Kernkraft sowie Gravitation) auf eine gemeinsame „Urkraft“, ein Feld von ungeheurer Energie, das den Beginn von Raum und Zeit markiert. Auch die Materie war Bestandteil dieses Feldes (alles ist Energie!). Das Vorhaben gelingt zur Gänze nur, wenn auch die Gravitation „gequantelt“ wird, wie es mit den anderen Kräften erfolgreich durchgeführt wurde. Die Gravitation ist aber laut Einstein eine Eigenschaft der Raum-Zeit selbst, sie IST die Raum-Zeit, und hier beginnt mein Gedankengang. Dort haben wir das Substrat, das sich selbst- organisierend entwickelt. Wenn das richtig ist, dann ist die Raum-Zeit nicht nur die Grundlage all dessen, was geschieht, sondern die dynamischen Prozesse SIND Raum-Zeit. Wir wissen um die seltsamen Ergebnisse von Experimenten in der Quantenmechanik, Superposition, Verschränkung, diese Dinge. Weshalb weiß Teilchen B instantan, wie Teilchen A ausgerichtet ist? Informationsübertragung mit Überlichtgeschwindigkeit ist schwer verboten – innerhalb des Raumes! Wenn aber das Geschehen nicht innerhalb des Raumes stattfindet, sondern wenn die Raum-Zeit dieses Geschehen IST sieht die Sache anders aus. Wir sind Teil eines dynamischen Beziehungsgeflechtes und als Struktur der Raum-Zeit ganz konkret Kinder des Kosmos.

Was aber auch richtig ist: Nur bis hierhin ist das, was ich „Sein“ nenne, mit einer wissenschaftlichen Theorie beschreibbar. Dahinter beginnt der Glaube (meint Glaube in weitestem Sinne, nicht religiös begrenzt). Wenn ich von „einem Denkenden Sein“ rede, meine ich eine tiefere Seinsebene. Es ist äußerst schwer in Worte zu fassen, weil alle Begriffe (wie z. B. Geist, Idee, göttlich usw.) mit aller Tradition unseres philosophischem / religiösem Denkens unlösbar verquickt ist, und ich nichts davon meine, ich versuche, es voraussetzungslos zu verstehen. Vielleicht ist es ein raum- und zeitloser Seins-Ozean aus vorweltlicher Energie, rein denkend und jeder Gedanke ist ein Kosmos. Aber eigentlich denke ich, es „ist einfach“, und nicht mehr lässt sich sagen.

Zur Willensfreiheit möchte ich mir noch ein wenig Gedankenraum nehmen, aber ich bin dran. Nur soviel vielleicht: Willensfreiheit beginnt mir der Erkenntnis der eigenen Grenzen, sie muss sich von der Willkür abgrenzen.

Mit freundlichen Grüßen

HG




Antworten:



Ihre Antwort

Name:
E-Mail:

Subject:

Text:

Optionale URL:
Link Titel:
Optionale Bild-URL:


[ Antworten ] [ Ihre Antwort ] [ Forum www.hbglweb.de ]