Abgeschickt von Egon de Neidels am 05 Oktober, 2009 um 22:03:43:
Antwort auf: Medizin-Nobelpreis Telomerase von Walter Keil am 05 Oktober, 2009 um 13:54:30:
Hallo Herr Keil,
gegen ein paar zusätzliche Dekaden zum derzeitigen Durchschnittslebensalter wäre m.E. sicher nichts einzuwenden (gute Gesundheit vorausgesetzt); aber zusätzliche Centurien oder gar Millenien würde ich ablehnen. Ich denke dabei an die alttestamentarischen Legenden, die zwar nicht wortwörtlich, jedoch metaphorisch m.E. eine Warnung enthalten. Vor der legendären Flut wurden in diesen uralten Geschichten die Menschen bis über 900 Jahre alt. Dann sah Gott aber, das all ihr Trachten böse war und begrenzte fortan die Lebensdauer des Menschen auf 120 Jahre.
Diese Geschichte ermahnt uns, über die Befindlichkeit des Menschen nachzudenken, denn was wäre, wenn nicht nur die Albert Schweitzers und Mutter Theresas z.B. 400 Jahre alt würden sondern auch jene Figuren mit fragwürdiger Ethik, die man leider immer wieder in einflussreichen Stellungen antrifft?
Ich erinnere auch daran, dass es gerade Hoimar von Ditfurth war, der immer wieder auf die Gefahren eines anthropozentrischen Mittelpunktswahnes hinwies, die mit kolossalem Alter sicher nicht geringer würden. Vor allem gemahnte uns HvD an die Begrenztheit unserer Erkenntnisfähigkeit, die schlicht und einfach aus der Evolution resultiert (in „Der Geist fiel nicht vom Himmel“). Die moderne Neurobiologie hat ihn in dieser Hinsicht m.E. voll und ganz betätigt.
Wollen wir den „Neandertaler von morgen“ etwa prolongieren oder gar verewigen? Ich denke, wir sollten alle mal hübsch sterblich bleiben – wir „Unfertigen“.
Bevor wir vom „ewigen Leben“ sprechen, sollten wir darüber nachdenken, ob wir hier nicht Ewigkeit mit Unendlichkeit verwechseln. Ich sehe Ewigkeit als Gegenpol zur Zeitlichkeit und nicht als eine nie endenden Befindlichkeit, die ihrerseits aus zeitlich bedingten Prozessen (z.B. hirnchemische Zustände) resultiert. So gesehen ist Ewigkeit bestenfalls ein transnatürlicher Zustand über den die Naturwissenschaften schweigen.
Unsere Gehirne haben sich in der Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickelt. Das führte zwangsläufig zu notwendigen Verengungen in der Begutachtung der Umwelt weil schnell und effektiv gehandelt werden musste. Dabei entstanden u.a. Strukturen wie den im männlichen Hypothalamus befindlichen neucleus präoptucus medialis (hochgradig testosteronsensibel). Dieser Kern verbindet ganz eng Aggressivität mit Sexualität: Ein armes Primatenmännchen muss beständig seinen Rang und sein Revier sichern, sich fortpflanzen und dann wieder sichern. Große Pausen dazwischen würden ihn schnell zur Beute anderer machen. Sehr sinnvoll damals – heute nicht mehr. Schaut man in die Kriminalstatistiken, so fällt dieser Zusammenhang zwischen Sex und Gewalt bei Männern auf – bei Frauen übrigens nicht, denn deren Hypothalamusarchitektur sieht etwas anders aus. Das ist nur ein Beispiel für uralte Programme in uns, die man besser nicht verewigen sollte. Zum Glück sind wir armen Kerle nicht alle Vergewaltiger, denn zur Verhinderung eines totalen Regiments von Impulsen aus den Tiefen des limbischen Systems hat die Evolution aus Riechhirnanteilen den sog. orbitofrontalen Cortex (OFC) geschaffen. Dieser sitzt – wie der Name schon sagt – direkt über den Augen im Stirnbereich (hier malen sich Menschen in Indien den sog. Tilak hin, der u.a. auf das mystische dritte Auge verweisen soll). Der OFC ist zuständig für soziale Empfindungen, Empathie, usw. – er ist der Sitz dessen, was Freud Über-Ich nannte und landläufig als Gewissen bekannt ist. Interessant ist, dass der OFC erst mit Vollendung des 20.Lebensjahres ausgereift ist (man denke dabei an sog. jugendlichen Leichtsinn und den ideologischen oder religiösen Missbrauch des Menschen durch „Verformungen“ in diesem Bereich, z.B. der Fanatismus der HJ, der ein objektives Erfassen der Lage gegen Kriegsende verhinderte – aber zum Glück sind hier Korrekturen möglich, da hier die Vernetzung oder besser Veränderung der synaptischen Wichtung durch Lernen möglich ist).
Schließlich sei mit Blick auf HvDs Worten, das wir nicht in der Welt leben, sondern im Bild, welches wir uns von der Welt machen, daran erinnert, dass tatsächlich alles, was wir erleben, nur Hirnkonstrukte sind, wir also kein objektiv korrektes Bild von der Welt an sich haben. Unsere Bilder von der Welt sind passend oder nicht passend in Bezug auf unsere Interaktionen mit der Umwelt – das ist alles. Wenn wir daran denken, dass bestimmte Psychosen vom Patienten als real erlebte Handlungen, die jedoch nie stattfanden, erzählt werden und zudem unsere eigenen Träume in Betracht ziehen, können wir nicht einmal mit absoluter Sicherheit sagen, ob wir und diese Welt, die wir erleben, überhaupt existieren. Unsere Existenzabsicherung erfolgt ausschließlich intersubjektiv, d.h. wir sind uns der Welt sicher, weil andere und Interaktionen diese zu bestätigen scheinen. In seinem Buch „Kinder des Weltalls“ schreibt HvD u.a. von dem kleinen oder dünnen Bereich, der unsere Lebenssphäre ausmacht im Verglich zur Masse unseres Planeten. Es ist nicht auszuschließen, dass die vermeintliche Solidität der Basis unserer Epistemologie noch viel dünner ist. Für einen Großteil unseres Lebens ist sie gar nicht vorhanden, denn im Tiefschlaf sind wir nicht bewusst. Erst ein anderer Mensch ist nötig, uns auf evtl. Nachfrage darüber aufzuklären, dass wir die ganze Zeit ruhig im Bett lagen. Man sieht, wie sehr wir die anderen brauchen und schizoide Psychosen sind ja u.a. auch durch große Kontaktprobleme gekennzeichnet. Dass eine sozial immer kälter werdende Gesellschaft psychische Störungen begünstigt, ist daher schon als trivial zu bezeichnen. Wir werden noch einiges hören über School-Shooter, Kindstötungen, usw. Alles Phänomene, die ich aus meiner Erinnerung an meine Kindheit und Jugend nicht kenne und die m.E. klare Indikatoren für eine zunehmende Degeneration sozialer Beziehungsfähigkeiten sind. Auf ein ultralanges Leben in solch einer Welt sei also aus meiner Sicht gepfiffen.
Die Angst vor dem nihilistischen Extrem (aka Tod) erzeugt m.E. das Gegenextrem einer eternalistischen Sehnsucht. Extreme sind Postulate der Dynamikverweigerung, des Nicht-Hinnehmen-Wollens der Vergänglichkeit bzw. der Veränderungen. Dem liegt m.E. eine Weltsicht zugrunde, die Fixationen dort sieht, wo in Wirklichkeit alles im Fluss der Veränderung sich befindet. Hauptfixpunkt sind aber weniger die Phänomene einer neuronalen Rekonstruktionen einer im Sinne des common sense hier mal angenommenen realen Welt, sondern wiederum ein Hirnkonstrukt namens Ich, das als erlebende Instanz die „zentrale Sonne“ zu bilden scheint, die nicht einfach das Phänomenale beleuchtet, sondern durch die limbischen Filtersysteme vorgefertigte Färbungen, emotionale Markerungen, usw. als real den Phänomenen zugehörig empfindet. Dieses Ich ist aber gar nicht in Permanenz aktiv, sondern erscheint immer erst, wenn Endprodukte von Sinnesdaten auftauchen. Man kann vermuten, dass ein Ich gar nicht eigenständig existiert, sondern lediglich das Synergieprodukt neuronaler Daten ist, wozu ganz besonders natürlich immer auch die biographischen Daten gehören, die jeden Sinneseindruck begleiten und so dafür sorgen, dass wir uns empfinden, bzw. das wir es sind, die sich in Beziehung zu irgendetwas setzen. Verschwinden die biographischen Daten – wie z.B. bei neurodegenerativen Erkrankungen – verändert sich die Weltwahrnehmung proportional zum Verlauf der Krankheit bis sie ein Stadium erreichen, welches in etwas dem eines Kleinkindes und schließlich eines Säuglings erreicht. Wir sehen hier m.E. deutlich, dass ein Ich nichts Beständiges ist und auch den Tod nicht überdauert. Lehren der Reinkarnation oder anderer Fortexistenzen des Ich sind daher offensichtlicher Unfug, denn mit den neuronalen Substraten der Qualia verschwinden auch diese. Doch Vorsicht! Das Verschwinden betrifft nicht unbedingt ein totales Verlöschen von Allem sondern nur den Untergang der weltrekonstruierenden Mechanismen. Folgen wir der Argumentation von HvD, so ist Evolution als Erschließung neuer Bereiche durch Lebewesen in bereits bestehende „Sphären“ zu verstehen. Unser Gehirn vermag daher Quantenphysik, usw. betreiben, was kein anderer Primat zu leisten vermag. Wie aber verträgt sich das mit dem weiter oben angedeuteten Konstruktivismus in unseren Gehirnen? Entstehen hier vielleicht Konflikte durch einander entgegengesetzten Konzepten – hier reale Welt, doch zum größten Teil nicht zugänglich und dort Welt nur als Hirnkonstrukt? Oder sind wir hier wider Erwarten an einen Punkt gelangt, von dem aus wir so wenig weiter kommen wie beim sog. Welle-Teilchen Dualismus, deren weitere Erkenntnis an einer „Mauer der Dekohärenz“ scheitert (wir wissen nicht, was ein Atom ist, sondern nur was wir vorfinden, wenn wir ein Atom zerstören – wie es C.F. von Weizsäcker einmal vereinfachend formulierte). Zeigen sich hier die Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit? Ich denke, dem ist so. Unser „konditionierter Aristotelismus“ scheint uns zu zwingen, bei sich widersprechenden Erklärungen oder Phänomenen immer nur eine als „wahr“ anzunehmen (schließlich wäre ja auch die Aussage „ein bisschen schwanger“ absurd). Wir kommen aus den Dualismen nicht heraus und selbst das Schwärmen für eine große Einheit ist ja nur möglich, weil es Vielheit gibt. Unsere ganze Phänomenologie ist ja nur möglich weil es diese Widersprüchlichkeit gibt; wir würden gar nichts wahrnehmen, gar nichts lernen können ohne die Widersprüchlichkeiten, die sich aus der von uns so erlebten Dualität der Welt ergeben. Kontrast ist hier ein anderer Ausdruck für diese Widersprüchlichkeit. Für unseren Fall bedeutet das: Wir können nur von Konstruktivismus reden, weil es etwas gibt, was im Gegensatz dazu existiert. Dieser Gegensatz ist die real existierende Welt, die in ihrer Totalität unser Erfassungsvermögen übersteigt und die nicht-konstruiert ist, eine ruhende Präsenz gegen die Bewegungen der Evolutionsdynamik darstellt aber ihre Existenz von der Bewegung ableitet. D.h., die Evolution „wächst“ in etwas hinein, was schon existiert aber gleichermaßen erst von ihr geschaffen wird. Mit anderen Worten: Evolution und Sein sind nicht identisch, aber letztlich von derselben Entität. Das etwas bereits vorhanden ist, während es erst entsteht, übersteigt unsere Logik, ist eine Zumutung. Jedoch: Ist Zeit etwa eine Konstante? Wie auch immer - eines können wir festhalten: Die Welt ist anders, als wir sie gemeinhin erleben und über Leben und Tod ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Wer sagt denn, dass der Tod ein beständiges Phänomen ist? Von der Fixierung auf ein beständiges Ich sollten wir uns allerdings verabschieden und lernen, dass die Dinge fließen ohne das wir sie wirklich und nachhaltig beeinflussen können – tauchen wir ja doch immer erst auf, wenn Dinge schon geschehen sind und schreiben das dann unserem ichhaften Willen zu. Und meine o.g. Besorgnis über eine degenerierte Welt ist ja auch nur meinem Unwissen (wieso vergesse ich selbst nach Jahren des Studiums buddhistischer Philosophie immer wieder, das es gar keine Täter, sondern nur Taten gibt? Aber so sind nun mal Konzepte) über uns unzugängliche Ereignisflüsse zu verdanken. Wer weiß schon, was alles hat untergehen müssen, damit wir derzeit diesen Planeten bewohnen können – die Saurier sind sicher nicht die einzigen. Man sollte die Demut vor dem Sein besitzen, auch Platz machen zu können und nicht von einem guten „Pol“ in einer dualistischen Welt träumen, den es ohne Negativität m.E. doch gar nicht geben kann. Und so ist es gut, dass es Schlafes Bruder gibt, denn ohne ihn gäbe es auch kein Leben. (Es dürfte vielleicht interessieren, dass es im legendären Paradies kein Gut und Böse gab und erst mit der „Erkenntnis“, d.h. mit der konzeptionellen „Weltverdoppelung in Bilder von Welt statt Welt“ die Dualität „aufgespannt“ wurde. Paradies ist konzeptlos und nichtdual und kein Schlaraffenland. Das ist vielleicht gar kein Text für Fundamentalisten sondern für Meditierende!)
Sollen die Leute doch alles mögliche erfinden, was ich nicht gebrauchen kann – so ist das eben. The Show must go on. Life is entertainment of mind.
Und Tschüss!
Herzliche und hirnliche Grüße
Egon de Neidels