Re: Auf der Suche nach dem Selbst


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Abgeschickt von Egon de Neidels am 12 November, 2009 um 17:22:17:

Antwort auf: Auf der Suche nach dem Selbst von Helmut Pfeifer am 31 Oktober, 2009 um 22:31:42:

Sehr geehrter Herr Pfeifer,

Sie sprechen – wie auch die anderen werten Herrn Diskutanten - die Kernproblematik m.E. sehr gut an, indem Sie u.a. auf die ungelösten Rätsel Selbst und Bewusstsein hinweisen und auch das von Freud postulierte Unbewusste erwähnen.

Benjamin Libet wollte eigentlich die dualistische Auffassung von John C, Eccles bestätigen, als er mit seinen Experimenten begann. Heraus kam aber etwas anderes. Heraus kam das im 100ms-Bereich liegende sog. laterale Bereitschaftspotential, welches eindeutig vor der Bewusstwerdung eines Willensaktes die Entscheidung über die von Libet installierte Testhandlung – dem Drücken bestimmter Knöpfe - initiierte. Derlei Experimente wurde zwischenzeitlich modifiziert und erweitert (z.B. von Haggard und Eimer) und haben Libet experimentell vielfach bestätigt. Es ist also nicht ein uns irgendwie individuell zugeordneter Geist, der unsere Entscheidungen trifft, sondern die „Tiefen des Gehirns“ bereiten diese vor und haben sogar längst entschieden, bevor uns derlei bewusst wird. Wir schreiben dann im Nachhinein – ohne uns über das Nachhinein bewusst zu sein – der Handlung unserem Willen erst zu.

Das kränkt unser Selbstbewusstsein und anlässlich eines Vortrages von Gerhard Roth mit dem provokanten Titel „Bin ich ein Hirnzustand?“ (oder so ähnlich – ich erinnere das nicht genau) sollen lt. Roth einige Zuhörer empört den Saal verlassen haben. Dabei ist diese Kränkung alles andere als neu. Im Prinzip handelt es sich doch „nur“ um eben jene Kränkung, die Freud schon erwähnte mit seiner Feststellung, dass wir nicht die Herren im eigenen Haus sind und die – nach Kopernikus und Darwin – als die dritte große Kränkung der menschlichen Hybris in die Geschichte einging.

Es verwundert nicht, dass mitunter religiös-fundamentalistische Gegner dieser neurobiologischen Erkenntnisse oft dieselben sind, die auch gegen die Evolutionstheorie zu Felde ziehen. Pikant ist dabei aber, dass sie – vmtl. ohne es zu wissen – einem von ihnen eigentlich zu vertretenden Theozentrismus durch eigenen anthropozentrischen Mittelpunktswahn ersetzen. Die Erkenntnis eines keineswegs freien Willens nötigt uns m.E. nämlich eine Demut ab, größeres und umfassenderes als uns selber zu akzeptieren. In sog. Selbsthilfegruppen, in denen sich ehemals substanzabhängige Menschen treffen, weiß man das übrigens schon lange. Dort weiß man, dass kein Willensakt jemals die Sucht nach Alkohol oder Drogen beenden kann, sondern nur jene u.a. vom Schriftsteller Ernst Herhaus so dramatisch beschriebene „Kapitulation“, also Hingabe an Gott oder dem Umfassenden und Durchdringenden. Der substanzabhängige Mensch hat die große Macht der Substanz über sein Leben erfahren und kapituliert (sieht ein), gibt jeden Widerstand auf und sich einer viel größeren Macht hin, die erstaunlicherweise „funktioniert“ wo oft „Medizinerlatein“ am Ende ist.

Vor einem mechanistischen Determinismus sollten wir uns hüten. HvD warnte ja auch schon in seinen Essays vor einer übertriebenen Loyalität gegenüber Energieerhaltungsdenken und Kausalität. Der sog. Laplacesche Dämon sollte nicht neu erweckt werden, denn wir leben nicht in einer Art Uhrwerkuniversum sondern in einem uns womöglich nie ganz zugänglichen kosmischen Netzwerk von Ereignissen. Das gilt m.E. ebenfalls für unser Gehirn, das auch entgegen den Auffassungen des von mir hochverehrten Gerhard Roth vmtl. sehr wohl (auch) auf quantenphysikalische Prozesse in seinem Wirken beruht. Die typischen und rätselhaften Quantenereignisse reichen nämlich bis zu molekularen Größenordungen – m.W. sind sog. Doppelspaltexperimente sogar mit Fullernen möglich, also mit sphärischen Kohlenstoffobjekten aus mehreren C-Atomen. Demgegenüber sind sog. Neuromodulatoren wie Cholin, Dopamin, GABA, Histamin, Noradrenalin und Serotonin fast schon „niedermolekular“. Der Temperatureinwand könnte auch gegenstandslos werden, wenn z.B. sog. Tunneleffekte entdeckt werden. Interessant ist an dieser Stelle, dass es hauptsächlich diese sechs Neuromodulatoren sind, die unser Gehirn sozusagen fest im Griff haben. Veränderungen dieser „Parameter des Gehirns“ können dramatische Folgen haben. Zuviel Dopamin kann eine Psychose auslösen – zu wenig Morbus Parkinson. Zu wenig Serotonin ist fast immer mit Depressionen korreliert und GABA bremst Ängste und Nervosität aus, macht aber auch unkonzentriert. Unkoordiniertes Dopamin ist die Ursache für ADHS, das dann mit Ritalin koordiniert werden kann. Acetylcholinmagel ist für Demenzen charakteristisch, usw.

All das ist natürlich nicht Qualia, ist nicht identisch mit der Welt der Ideen, der Kunst, der erlebten Empfindungen usw. Ich denke, nicht ganz weit von der Auffassung HvDs entfernt zu sein (1), wenn ich annehme, dass Qualia einer Sphäre der Welt angehören, die nicht durch unsere Gehirne produziert wird, sondern aufgrund der evolutionsbiologischen Prozesse „nur“ zugänglich geworden ist. Mit anderen Worten: Diese „Noosphäre“ existierte schon ebenso wie bestimmte elektromagnetische Phänomene lange, bevor wir in der Lage waren, sie zu erfassen. Herbert von Karajan hatte den Teilhardischen Begriff der Noosphäre übrigens mal in einem Interview verwendet um das Wesen der Musik zu verdeutlichen. Wir werden also niemals einen Gedanken, einen Musiktakt, usw. in unserem Gehirn vorfinden, sondern bestenfalls sog. Korrelate, also evolutiv gewachsene Strukturen und Prozesse, die in der Lage sind, bereits existierende überindividuelle Qualia chemoelektrisch in rekonstruktiver Weise einem Selbsterleben zu (re)präsentieren. Unweigerlich stoßen wir jetzt aber auf das Problem des Erlebenden. Was oder wen müssen wir uns darunter vorstellen?

Ich bin der – zugegeben nur spekulativen – Ansicht, dass es diesen Erlebenden, der für mich synonym mit Ego, Selbst, Seele, usw. ist, gar nicht wirklich gibt. Es handelt sich m.E. dabei nur um ein synergistisches Bündel von Trieben und Reflektionen (also eben nicht um ein kompaktes und vermeintlich unzerstörbares Phänomen), das aus der Überlebensnotwendigkeit im evolutiven Prozess als virtuelles Konvergenzzentrum hervorging, also nur evolutiv-operationelle Bedeutung hat, aber ontisch letztlich inexistent ist. Ein nicht ganz unbekannter Effekt könnte diese Auffassung bestätigen: In unseren besten Momenten, z.B. beim Hören einer wunderschönen Musik, können wir uns selber vergessen. Aber auch im selbstlosen Einsatz sehr altruistischer Menschen vermag in diesen Menschen im wahrsten Sinne des Wortes das Selbst zu verschwinden. Das Ego ist für mich eine negative Reflektion oder vielleicht besser Projektion eines reinen Hirnproduktes in der Noosphäre und erweckt damit den Anschein, diesen durch unsere Spezies neu entdeckten Seinsbereich zugehörig zu sein. Tatsächlich aber ist es – besonders in Hinblick auf den Willen – eine Phantasmagorie, die ihre ganze Kraft aus posterioren Zuschreibungen schöpft. Denn da sind ja nur Geschehnisse und Taten – aber kein Täter. Ob es sich wirklich so verhält? Nobody knows. Wir stoßen vmtl. einmal mehr an die Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit, die zu unserem Troste Gott sei Dank nicht die Grenzen der Welt sind.

Mit freundlichen Grüßen
Egon de Neidels

(1) siehe hierzu ggf. Hoimar von Ditfurth „Unbegreifliche Realität“, Rasch und Röhring 1987, Seiten 290 ff., besonders Seite 300

Ich selber bin allerdings etwas skeptisch in Bezug auf dualistischen Auffassungen und neige eher zu einer Allbewusstseinslehre, wobei dem, was wir gemeinhin Materie nennen, die Rolle eines illusionshaften „Quantentheaters“ zukommt unter der Voraussetzung, dass uns das eigentliche „Quantenobjekt“ nie zugänglich sein wird sondern nur dessen postdekohärente Projektion. Dieses scheint mir aber mit des Auffassungen HvDs kompatibel zu sein – ein kruder Materialismus hingegen nicht.




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