Abgeschickt von Henry Grimmer am 10 August, 2010 um 12:11:42
Antwort auf: Re: Teilhard de Chardin- Naturbegriff -Atheismus von Walter Keil am 08 August, 2010 um 13:20:55:
Hallo, Walter!
Wenn wir diskutieren bleibt uns doch nichts anderes übrig, als uns auf die Bedeutung von Begriffen zu einigen, weil es sonst unausweichlich zu Missverständnissen kommt, hier: „Natur“ oder „natürlich“. Meines Erachtens sollte man etwas nicht als „nicht natürlich“ bezeichnen, nur weil wir es nicht verstehen oder weil es sich unserer direkten Sinneswahrnehmung entzieht. Ein solcher Glaube hat uns viele Jahrhunderte der Dunkelheit beschert. Ich denke, Herr Taplan hat das überzeugend dargelegt.
Selbstverständlich will ich dir nicht vorschreiben, wie du für dich „Natur“ definierst, aber wir diskutieren hier in einem bestimmten Kontext, dem naturwissenschaftlichen, und es müsste doch auch für dich einfacher sein, sich erst einmal auf diesen Kontext einzulassen – komm uns doch entgegen! Hier geht es nicht – zum wiederholten Male – um das „Warum“, sondern um das „Wie“.
Es ist ja völlig legitim, die naturwissenschaftliche Sicht in ein Glaubensmodell einzubauen, aber es ist nicht legitim, Gott (ein Glaubensmodell) in die Naturwissenschaften zu holen, denn dann wären es per Definitionem keine Naturwissenschaften mehr.
Das hat doch erst einmal mit Theismus oder Atheismus, Gnostik oder Agnostik und was es sonst noch gibt gar nichts zu tun. (Natürlich ;-) gibt es die von dir angesprochene Gilde der atheistischen Naturwissenschaftler, lass sie doch! Im Übrigen wäre es durchaus mal wieder interessant, über die Konsequenzen eines existierenden Gottes zu diskutieren).
Was nun die Entwicklung des Kosmos bis zu uns angeht – das ist in der Tat äußerst erstaunlich, und je mehr man sich damit beschäftigt, desto geneigter ist man, einen „Lenker“ anzunehmen. Man übersieht dabei allerdings etwa ebenso Erstaunliches – die ungeheure Ausdehnung von Raum und Zeit. Um in der Zeit und auf der Erde zu bleiben: Über Jahrmilliarden hinweg - nachdem die ersten Zellen relativ schnell entstanden – blieb es bei diesen „primitiven“ Einzellern. Man kann sich nicht im Geringsten auch nur die Andeutung einer Vorstellung machen, wie viele Einzeller im Spiel waren, wie viel kleine Mutationen ohne Wirkung oder mit negativen Folgen nötig waren, um auch nur den nächsten Schritt zur Photosynthese oder dann zu den Vielzellern zu gehen. Und was sich selbst organisierende Systeme angeht – jeder Stern, jede Galaxie ist ein solches System, jeder Ameisenhaufen und jeder Bienenstaat; und alles unter einfachsten Vorgaben.
Zu deinem PS: Ich könnte mir vorstellen, dass du die energetische Gesamtbilanz des Kosmos meinst, das heißt, die teilweise entgegen gesetzten Kräfte (z. B. Gravitation und Expansionsenergie – das ist vielleicht die kosmologische Konstante, vielleicht die Dunkle Energie) heben sich auf. Tatsächlich lässt sich auf den gesamten, beobachtbaren Kosmos bezogen keine Raumkrümmung nachweisen. Was darauf hinweist, dass die Energie des Alls tatsächlich null ist. Allerdings ist anzunehmen, dass der Kosmos weitaus größer ist, als wir ihn beobachten können, tausend mal, möglicherweise zehntausend mal so groß – siehe inflationäre Phase nach dem Urknall, eine Raumkrümmung auf dieser gewaltigen Größenskala können wir nicht ausschließen, dann wäre deine Summe nicht null (ich weiß aber wirklich nicht, warum dir dieser Null-Wert so wichtig ist, kann ich nicht nachvollziehen)..
Vielleicht noch etwas zum Big Bang. Die gern und häufig verwendete Singularität ist ein rein mathematisches Modell, bezogen auf den Urknall genauso wie auf die berühmten schwarzen Löcher Das hat damit zu tun, das Kräfte sich mit dem Quadrat ihrer Entfernung abschwächen. Da der Ausgangspunkt der Kraft im Zentrum liegt, z. B. im Proton, im Erdmittelpunkt, bezieht sich das auf den Abstand zum Mittelpunkt, das ist der Radius. Bei der Berechnung der Kraft in Abhängigkeit vom Mittel punkt ist der Radius im Nenner, wenn also der Radius Null wird, wie es logischer Weise der Fall ist, wenn wir von einem punktförmigen Teilchen sprechen (ein Punkt ist dimensionslos!) müssten wir hier durch Null dividieren, das ist aber nicht definiert, die mathematische Beschreibung verliert hier ihre Gültigkeit. Das ist auch leicht einzusehen, denn das Ergebnis wäre eine unendlich große Kraft, es gibt aber ganz offensichtlich keine unendlich großen Kräfte.
Auch entstand das Universum nicht aus nichts. Nach heutigem Verständnis entstand es aus einer Fluktuation des Vakuums. Laut Heisenberg´scher Unschärferelation gibt es kein leeres Vakuum. Es ist stets von so genannten virtuellen Teilchen bevölkert (unter Teilchen sind alle Quantenobjekte zu verstehen, also auch die Überträger der vier Naturkräfte).
Es ist nicht einfach zu verstehen, denn Raum und Zeit sind ja erst mit dem Urknall entstanden. Dennoch, wir haben keine anderen Begriffe, je kleiner der Raumzeitbereich des Vakuums, desto energiereicher werden die Teilchen, oder, anders ausgedrückt, je energiereicher desto unwahrscheinlicher ist ein virtuelles Teilchen. Sie haben eine „Lebensdauer“ unterhalb der Planck-Zeit, deshalb treten sie nicht in Wechselwirkung mit den „real“ existierenden Teilchen, verletzen deshalb nicht den Energieerhaltungssatz. Außerdem entstehen sie aus der Vakuumenergie immer als Teilchen-Antiteilchen-Paare, was eben gerade ihre sofortige Vernichtung zur Folge hat. Das Teilchen, das zu unserem Universum führte, war sicher ziemlich unwahrscheinlich, aber sein Erscheinen hatte wegen Heisenberg nicht die Wahrscheinlichkeit null. Desgleichen gibt es eine von null verschiedne Wahrscheinlichkeit dafür, dass so ein Teilchen sich eben nicht gleich wieder mit seinem Antiteilchen vernichtet.
Die Energiedichte des Vakuums wird auf einen Wert der Größenordnung 10-9 J/m3 bis 10-11 J/m3 geschätzt (Diese Vakuumenergie ist nicht mit der Energiebilanz des Kosmos zu verwechsen!). Das hört sich nicht nach viel an, aber man muss die Größe des gesamten Kosmos bedenken, dann ist der Wert gigantisch. Außerdem sagt das noch nichts über die Vakuumenergie jenseits von Raum und Zeit aus – wenn ich das jetzt richtig verstehe. Noch etwas anders ist zu bedenken: Energie, die einfach nur da ist, bewirkt auch nichts. Es muss ein Potential vorhanden sein, ein Niveauunterschied. Auch das Potential ist im Schnitt gleich null, aber es schwankt dank Heisenberg um diesen Null-Wert, und zwar – das ist das Entscheidende – mit positiven wie auch negativen Werten. Für das virtuelle Teilchen, aus dem unser Kosmos entstand, war der Wert, bezogen auf die Gravitation, negativ, was zur Folge hatte, das die Gravitation ABSTOßEND war, Antigravitation. Aus dieser Schwankung entstand unser Universum. Es entstand alles, und die Frage ist, wenn auch die Antiteilchen entstanden – warum gibt es uns dann heute? Warum hat sich nicht alles gleich wieder vernichtet? Vielleicht war die Zeit zu kurz? Vielleicht waren die auseinander treibenden Kräfte zu stark, und es konnten sich nicht alle Teilchen zur Vernichtung wieder vereinen, dann ist die Frage – wo ist die Antimaterie? Dann müsste es sie ja noch geben. Und genau danach wird zur Zeit auch gesucht, es könnte tatsächlich sein, dass es Bereiche in den fernen Weiten des Alls gibt, wo sie existiert. Da Photonen (Licht) ihre eigenen Antiteilchen sind, lässt sich Antimaterie daran nicht erkennen. Wir werde sehen!
So, nu is aber erst mal wieder gut!
Henry