Re: Die Violetten


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Abgeschickt von Henry Grimmer am 14 Mai, 2010 um 15:49:18

Antwort auf: Re: Die Violetten von Heinz Boente am 13 Mai, 2010 um 11:34:51:

Herr Boente, hi!

Ich will versuchen, meine Ansicht noch deutlicher darzustellen. Was meinen wir mit „physischen bzw. geistigen Altlasten“? Auch in den Genen sind Verhaltensmuster gespeichert, und das ist „Geistiges“ auf physischer Grundlage. Nun lassen sich selbst Tiere zumindest teilweise zu Verhalten konditionieren, das den „normalen“ Ablauf ändert (Tiger springt durch brennenden Reifen). Das ist Dressur und selbstverständlich versteht es sich, dass wir Menschen nicht dressieren wollen. Eine höhere „geistige“ Ebene ist das Lernen durch Nachahmung. Aber auch hier besteht eine Abhängigkeit von der physischen Konstitution, denn es muss in der physischen Struktur die Möglichkeit zum Nachahmen von Verhalten (lernen) angelegt sein., wobei dann häufiges Anwenden des Erlernten die physischen Strukturen ändert – das Erlernte wird „verinnerlicht“. Das kann man durchaus auf den Menschen übertragen, siehe die Entwicklung von Kindern. Etwas nur dem Menschen Eigenes ist die vollkommen abstrahierte Form des Lernens, das Lernen über die reine Kommunikation und Übereinkunft. Wenn wir nun z. B. das Revierverhalten anschauen, so könnte man die Identifikation mir der der Familie, der Gruppe, dem Land darunter rechnen (Verteidigung der „Familienehre“, die Aggression, die Auftritt, wenn der eigene Verein „geschmäht“ wird, das Verbrennen der Fahne usw.). Diese Identifikationen können äußerst stark sein, bedingt durch die mehr oder weniger starke Individualisierung des einzelnen in einer Gesellschaft. Um es salopp auszudrücken: Ich bin umso weniger Individuum, je mehr ich in der Gruppe aufgehe. Der Totentanz der Nationen um ihre heiligen Fahnen ist ein Beispiel dafür, auch dafür, wie schwer es ist, sich seine Freiheit des Denkens im Angesicht des allgemeinen Konsenses zu bewahren. Da liegt ein Großteil des Problems - was jetzt kommt meine ich mit "...er ist dazu in der Lage, aber leider zu selten dazu bereit, aber das ist eine völlig andere Voraussetzung." - der Mensch hat als soziales Wesen einen tiefen Wunsch nach Geborgenheit und damit einhergehend die Furcht vor Isolation auf der einen Seite, und als Individuum das Bedürfnis nach Abgrenzung, nach Eigenständigkeit auf der anderen. Der Wunsch nach einem eigenständigen, integeren Selbst kollidiert um so stärker mit dem Wunsch nach dem selbstlosen Rückfall in die vorindividuelle Geborgenheit, je stärker eine Gesellschaft das Wohl der Gruppe, der Nation in den Vordergrund stellt. Diesen Umstand haben sich starke Persönlichkeiten schon immer zu Nutzen gemacht, leider viel zu häufig nicht zum Wohle, sondern zum Unglück nur allzu vieler.

Es ist nun mal so, dass das Ringen um das integere Selbst eine ständige Herausforderung ist und es bedarf immer der Unterstützung durch andere, es bedarf der Gewissheit, nicht allein zu sein. Man darf so eine innere Gewissheit nicht unterschätzen, Sophie Scholl stand nur auf dem ersten Blick allein vor Ihren Richtern, sie hatte die Gewissheit des Glaubens, den sie mit anderen teilte.

Wir müssen eine Gesellschaft schaffen, die unabdingbar den Wert jedes einzelnen Menschen anerkennt und alles in des Menschen Macht liegende tut, um den einzelnen in seinem persönlichen „So-Sein“ zu stärken, und wir brauchen Menschen, die den Wert einer solchen Gesellschaft erkennen und tragende, aber auch stets hinterfragende Stützen dieser Gesellschaft sind, und zwar auf dem gesamten Globus, für alle Menschen.

Ist die schlichte Forderung nach Menschlichkeit naiv? Nun, so sei sie es. Die Würde des Menschen ist unantastbar, wie höhnisch das auch klingen mag im Angesicht der Tatsache, das sie täglich mit Füßen getreten wird, und das nicht nur symbolisch - und dennoch ist die Wahrheit dieser Aussage nicht zur Diskussion zu stellen.

Mag man über die Violetten schmunzeln, es liegt aber an uns, an jedem einzelnen, den Wunsch nach einer humanen Welt mit Wirklichkeit zu füllen. Ich plädiere doch nicht dafür, in die Partei der Violetten einzutreten, nein, aber der Grundgedanke ihrer Präambel ist mir als Basis für eine gesellschaftliche Diskussion allemal gut genug.

Mit freundlichen Grüßen

Henry Grimmer




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