Abgeschickt von Henry Grimmer am 23 Juli, 2010 um 13:21:26
Antwort auf: Re: Teilhard de Chardin: Der Mensch im Kosmos von Walter Keil am 22 Juli, 2010 um 10:31:17:
Hallo, Walter!
Tut mir leid, dass du den Eindruck hast, ich wolle dich – wie auch immer – „aussehen lassen“, dem ist nicht so.
Was den Reduktionismus angeht, so hast du natürlich Recht, dass er als eine Methode wichtige Einsichten vermittelt. Das einzelne Experiment sollte ganz klar in dem großen Zusammenhang betrachtet werden. Dabei besteht aber die Gefahr, dass man die Erkenntnisfähigkeit verliert – wenn alles miteinander verknüpft ist, wo sollte man stopp sagen, bis hier und nicht weiter?
Wenn ich mit dem, was ich zu vermitteln (vermitteln, nicht überzeugen) versuche, nicht durchkomme, kann es wohl nur an meinen mangelnden didaktischen Fähigkeiten liegen.
Ich will es also noch mal versuchen.
Erkenntnisgewinn durch naturwissenschaftliches Vorgehen bedeutet – grob gesagt – Theorie und Bestätigung durch das Experiment. Womit sich die Naturwissenschaften beschäftigen ist letztlich Materie im weitesten Sinne, also auch Energie (Strahlung) und es sind die Kräfte, die die Wechselwirkungen vermitteln. In diesem Zusammenhang – und ausdrücklich nur in diesem Zusammenhang! – sage ich, dass es ein zwingendes Muss ist, Einflüsse jedweder „übernatürlichen Art“ auszuschließen. Dabei geht noch in keiner Weise um Atheismus oder Theismus! Naturgemäß fällt diese Sicht der Dinge einem Atheisten leichter, denn wenn ich Gott auf dieser Ebene zulasse – nicht ihn verleugne! – kommt es zwangsweise zu einer Diskussion darüber, ob und wie weit sich Gott in das Naturgeschehen einmischt. Und da wir – außer auf Grund unseres Glaubens – nichts über Gott wissen können, währe das an dieser Stelle eine kontraproduktive Diskussion. Wenn ein Experimentator Licht durch ein Prisma in seine Spektralfarben zerlegt, wird er doch – wenn er gläubig ist – über das Wunder der Schöpfung staunen. Aber dieses Staunen wird ihn nicht daran hindern, zu fragen, was ihm dieses Spektrum über die Natur des Lichtes sagen kann.
Ich halte es nun nicht für verwerflich, wenn ein strenger Materialist sich mit Obigem begnügt, ein gläubiger Mensch wird aber das rein Faktische des oben Erkannten in sein darüber hinausgehendes Weltbild aufnehmen. Das ist es wohl, was du mit „dem Bewerten von Ergebnissen“ meinst, denn rein naturwissenschaftlich betrachtet sollte es keine (Be-)wertung geben, sonder nur ein objektives „Richtig“ oder „Falsch. Es macht Gott doch nicht klein, wenn der materielle Aspekt seiner Schöpfung durch seine Geschöpfe erkannt wird (werden kann). Für mich steht es außer Frage, dass das Sein weit über das materielle unserer Sinnenwelt hinaus reicht. Das ist aber keine Frage, die sich innerhalb der Naturwissenschaften stellt, sondern sie geht weit darüber hinaus, weil eben das Sein selbst weit darüber hinaus geht.
Eines meiner Lieblingszitate lautet: „Gott sei dank bin ich Atheist!“. Dieser Satz trifft – was mich betrifft – genau den Kern. Ich möchte versuchen, das am Beispiel des Hinduismus zu erläutern.
Zitat aus Wikipedia: „Brahman ist ein unpersönliches Konzept vom Göttlichen, das keinen Schöpfer und keinen Lenker beinhaltet, ein Urgrund des Seins, ohne Anfang und ohne Ende. Brahman ist nicht definierbar in Raum und Zeit. Obwohl attributlos wird es doch als Sat-Chit-Ananda (Sein-Bewusstsein-Glückseligkeit) beschrieben. Es ist auch das Unsterbliche, das über den Göttern steht. Im hinduistischen Glaubensleben manifestieren die jeweiligen bevorzugt verehrten Götter das höchste Brahman. So stellt für Anhänger von Shiva dieser das Brahman dar, für Anhänger der Göttin eine ihrer Formen, während Vishnu-Verehrer diesen als das höchstes Brahman betrachten.“ Zitat ende.
Letztlich sind die Götter vergänglich und es bleibt Brahman. Ich glaube nun nicht an Götter, man könnte aber sagen, die Welt der Erscheinungen ist aus dem Meer der unendlichen Möglichkeiten Brahmans hervorgegangen und wird am Ende von Allem wieder darin versinken.
Wie gesagt, ich glaube nicht an Götter, auch nicht daran, dass sich Prinzipien manifestieren, und deshalb bin ich Atheist, aber dennoch in gewissem Sinne religiös.
Weißt du, Walter, wir brauchen tatsächlich einen Disput über eine allgemeingültige philosophische/religiöse Grundlage, sonst geht die Welt den Bach runter, und sie hat schon Fahrt aufgenommen. Nur denke ich, der Streit „Gott ja oder nein“ führt uns nicht weiter. Muss Gott denn tatsächlich „christlich“ sein? Warum reicht nicht der Glaube an Gott, wie er ist? Es mag Milliarden von bewohnten Welten im All geben – wer mag denn glauben, dass auf irgendeiner dieser Welten unsere Gottesvorstellung, dass Jesus von Nazareth irgendeine Rolle spielt? Wir finden keine Lösung unserer Probleme, wenn wir uns weiterhin über den „richtigen“ Glauben an Gott streiten. Finden wir uns doch bitte zusammen mit dem, was uns verbindet und nicht mit dem, was uns trennt.
Die Krux ist nicht der Atheismus, in Wirklichkeit gibt es doch nur ganz wenige Menschen, die tatsächlich Atheisten sind. Die Krux sind all diejenigen, die den Status, den Mammon, den Erfolg und nicht zu letzt sich selbst zu Idolen machen, die Gott zu einem Götzen machen. Die Krux sind Fundamentalisten jedweder Couleur, sind all die Millionen, die hier herumlaufen und sich Christen nennen und nicht ein wahrhaftes christliches Gedankengut ihr Eigen nennen können.
Nun denn, auf ein schönes Wochenende
Henry